Gedanken zur Ausstellung in Veszprém/Ungarn
(Juli 1994)

Wir stehen hier, er ist schon im Jenseits und wenn er diese Ausstellung hier in Veszprém sähe, könnte er vielleicht denken: Was suche ich in dieser Veszprémer Burg-Galerie zwischen uraltem Gemäuer, wobei ich nach meiner Biografie im Jahre 1986 schon einmal in Ungarn und dabei auch in Veszprém gewesen war?
Nun konnte diese Ausstellung des deutschen Schöpfers aus dem Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge, Harry Krippner, dank des Austausches von bildenden Künstlern zwischen dem Landkreis Wunsiedel und dem Komitat Veszprém nur ohne seiner persönlichen Teilnahme zustande kommen.
Den erschienenen Gästen können wir heute die in gemischter Technik und in Öl gefertigten Bilder und Collagen von Harry Krippner, der im vorigen Jahr plötzlich verstarb, vorzeigen - und dies für ein interessiertes Publikum bis Ende Juli.
Nach dem Willen des Schöpfers tragen die Werke keine Titel, worüber wir uns nur freuen können, weil heutzutage in der bildenden Kunst geistreiche, ironische, selbstironische und literarische Titelgebung herrscht, in der Absicht des Künstlers, mit dem Titel die Interpretation, Perzeption und Kunstverständigkeit zu beeinflussen. Bei den numerierten Werken können nur etwas englisch und deutsch sprechende Bildbetrachter durch die an mehreren Stellen eingefügten Textmontagen abgelenkt werden, aber auch erst als Ergebnis eingehenden Studierens.
Die Bezeichnung "Besonderes" in bezug auf seinen Lebensweg ist diesmal keine Phrase: Abitur, Ausbildungen zum Bankkaufmann und Schreiner, Arbeiten in einem Lagerhaus und bei einer Werbeagentur, hobbykünstlerische Beschäftigung mit Collagen und Malerei, Musik, Auslandsreisen - in autodidaktischen Studien von Literatur und Philosophie hat sich das entwickelt, was nicht anders formuliert werden kann: Es geht über die alltägliche Darstellung hinaus. Diese Tafeln vermitteln kosmische und magische Dinge und vielleicht irre ich nicht sehr, wenn die aus Fotoausschnitten, Textelementen und anderen Requisiten entstandenen Collagen in ihrer ikonenartigen Konstruktion das eigene Universum, die Gedankenwelt und Weltanschauung des Künstlers am überzeugendsten darbieten.
Auf einer der Collagen findet sich der gekreuzigte Jesus auf vier kreuzförmigen, reichverzierten Lampen - lux aeterna? - , darüber eine Ikonenproduktion mit dem drachentötenden Sankt Georg, darunter eine Lufthansa Maschine - Boeing - und die Band Amon Düül, weiter unten der bärtige Guru mit Gitarre und vor einem modernen Büroschrank die Statue des Ho Chi Minh (Schnee-Väterchen).
Dies nur einige herausgegriffene Collagen-Elemente von all dem, was aus dem inneren Kosmos von Harry Krippner ausgestrahlt wird und sich zum Bild entwickelt.
Die Collagen, aber auch die Bilder anderer Art wie Öl und gemischte Technik stauen einen enormen Archaismus - ich kann nichts Besseres sagen: Ich schwebe in der Unsicherheit der Unfaßbarkeit und der Unformulierbarkeit.
Es verbleibt also ein Torso wie das folgende, schnell geborene Gedicht, grübelnd darüber, ob nicht alles Torso ist - schnell vollendetes und langes Lebenswerk und Lebensweg genauso:

Kann das Glück die Angst verstecken,
wenn die stählernen Engel zurücksickern
und die Schmach der Meister,
die Unterwürfigkeit des Publikums
alle Eröffnungen abortiert?
Geschändete Kunstwerke
und verwaiste Ateliers
rufen nie gesehene Besucher zurück.
Hier stehe ich,
aber ich kann nur anders -
wer dies in dieser Burg hinterließ
kann auch selig werden
bei dem Wüstenabendstern von Siva.

Harry Krippner habe ich nie, seine Werke hier in Veszprém das erstemal gesehen. So bleibt vieles für mich ein Rätsel von dem, was er von seiner und unserer Welt verewigen wollte. Der Vater ist unter uns, er weiß viel mehr darüber, vieles mehr aber ein auch anwesender Freund.
Die Schatten der Erinnerung breiten sich auf uns. Hören wir, schauen wir es zu Ende, das, was viele nur erahnen können und was sich mit eigenem Beweis vor uns öffnet.
Unsere Einbildungskraft ist durch die Zeitepochen der Jahrhunderte träge geworden. Was unser eigen ist war kein Anfang und ist eher zu Ende gegangen, hat viel zu seiner Meinungsbildung beigetragen, wie wir es hier sehen können.
Hier die Werke. Bitte sehen Sie sie an. Der in sich kehrende Blick kann das Unsichtbare nicht bestätigen. Und dennoch, vielleicht traben wir jetzt einer neuen visuellen Sphäre entgegen. Es wäre gut, so ankommen zu können, daß wir endlich die Natur in uns entdecken, das Natürliche, und daß die Hysterie unseres Aufstandes in einer durch Ökologie diktierten natürlich-menschlichen Demokratie erlöschen kann. Bis dahin zerstören wir uns zusammen mit der Natur. Umsonst warten wir auf einen Zwischenschrei von außen und oben. Der letzte wird auch der unsere sein. Hoffentlich nicht zu spät!
Wie dem auch sei - diese Werke warten auf eine Antwort. Jeder kann sie auf seine eigene Art geben.

Patka László
Schriftsteller